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PHONOREALISMUS


PHONOREALISMUS
aus: Metaphern (Wenn die Klänge die Klänge wären)

von Peter Ablinger



Um Wirklichkeit ins Spiel zu bringen, bedient sich Musik traditionell der Sprache (gesungene Sprache, sprachähnlicher formaler Aufbau der Musik selbst, Titelgebung, Programmtexte, etc.). Viel seltener ist schon der Versuch, Wirklichkeit unmittelbar KLANGLICH zu erfassen: Die diversen Waldszenen und Vogelmotive der älteren Musikgeschichte werden da kaum die Ehrenrettung antreten können. Ernst wird es erst seit dem Futurismus (zumindest in dessen Manifesten), dann in der Musique Concrète (vermutlich fast ausschließlich als stark verfremdete, und wenig erkennbare "Wirklichkeit"), bei Cage (durchs geöffnete Fenster), oder - fast noch eindeutiger - bei einigen Klangkünstlern (etwa bei Bill Fontana, der reale Akustiken an andere Orte überträgt.)

      An diesem Punkt setzen die "Quadraturen" an.

      (1) Der erste Schritt ist immer eine akustische Photografie ("Phonografie"). Das kann eine Aufnahme von irgendetwas sein: Sprache, Strassengeräusche, Musik.

      (2) Zeit und Frequenz der gewählten "Phonografie" werden in einen Raster kleiner Rauschquadrate aufgelöst, deren Format zB. 1 Sekunde (Zeit) mal 1 Sekunde (Intervall) sein kann.

      (3) Der resultierende Raster ist die Partitur, welche dann in verschiedenen Medien reproduziert wird: auf traditionellen Instrumenten, auf dem komputer-gesteuerten Klavier oder durch weisses Rauschen.

      Die Reproduktion der "Phonografien" durch Instrumente kann mit photorealistischer Malerei verglichen werden, oder, was den technischen Aspekt der "Quadarturen" noch besser beschreibt, mit Techniken die aus der Gebrauchsgrafik kommen, und Photos mittel Rasterung in Drucke transformieren.

      Wenn man mit von Menschen gespielten Instrumenten arbeitet muß der Raster vergrößert (verlangsamt) werden um spielbar zu bleiben - auf diese Weise ist das Ergebnis nicht so sehr eine Reproduktion als eine Annäherung an das Original, oder eine Situation des Vergleichs zwischen Instrumentalklang und ursprünglicher Klangaufzeichnung. Wenn man mit einem kleinkörnigeren Raster arbeitet, zB. 16 pro Sekunde (etwa das Limit des Selbstspielklaviers), erreicht die Klangquelle in der Reproduktion die Grenze der Erkennbarkeit. Mit einiger Übung im Hören kann das Selbstspielklavier sogar Strukturen wiedergeben, die der Hörer als gesprochene Sätze versteht/übersetzt.

      Tatsächlich aber gehört mein Hauptinteresse gewiss nicht der wörtlichen Übersetzung selbst, sondern eben diesem Grenzbereich zwischen abstrakter musikalischer Struktur und dem plötzlichen Wechsel zum Erkennen hin - die Beziehung zwischen purer musikalischer Qualität und "Phonorealismus": der Beobachtung der Wirklichkeit durch Musik.

    Quadraturen III "Wirklichkeit", Studien für Selbstspielklavier.

    Die Quadraturen III sind, im Gegensatz zu den (inzwischen) abgeschlossenen Quadraturen I, II, IV und V, ein offenes Werk, oder selbst eine Serie in der Serie. Die drei bereits fertiggestellten Stücke daraus beschäftigen sich, wie alle, die noch folgen sollen, mit der Wiedergabe von konkreten Klängen, Umweltgeräuschen, Sprache, durch ein komputergesteuertes Klavier. Eine wirklich schallrealistische Wiedergabe etwa von Sprache durch ein Klavier ist unmöglich. Und doch: es ist wie bei diesen 3-D-Bildern, wo man zuerst nur ein ornamentales Bild vor sich hat, aber schließlich, und mit etwas Übung, einen konkreten Gegenstand darin erkennen kann. Genauso ist es mit dem Klavier in diesem Stück: man hört entweder ein Klavier-Ornament, - oder man versteht plötzlich einen Satz!

"Sonate, que me veux tu?"

Bevor die "deutschen" Komponisten im 18. Jahrhundert mit ihren Sonaten und Sinfonien von sich Reden machten, schienen komplexere musikalische Formen ohne gesungenen Text schlicht als Unsinn. Die Instrumentalmusik war, trotz Frescobaldi, trotz J.S.Bach, die Gattung kleiner Kabinettstückchen, Toccatten und Improvisationen, aber als Trägerin eigenständiger Formen, gar einer Aussage, schien sie höchst ungeeignet. Das Klavier wurde das Hauptinstrument der neuen Entwicklung im Norden. Welche Ironie, wenn eben jenes, für südliche Ohren damals so unkommunikative Instrument nun doch noch das Sprechen lernen sollte! - Bleibt nur noch die gar nicht so einfache Frage zu klären, welche Sprache das Klavier nun aber lernen soll. Deutsch? (Quadraturen III "Wirklichkeit", Studien für mechanisches Klavier, seit 1996, IIIa: "Gegrüßet seist Du Maria", 22"; IIIb: "Guten Abend bei der Zeit im Bild", ca.12'; IIIc: "Fidelito/La Revolución y las Mujeres", 55'25"; in Zusammenarbeit mit Winfried Ritsch: Selbstspielklavier)

hier der gesamte Text:
METAPHERN
(Wenn die Klänge die Klänge wären)

veröffentlicht in: "Übertragung - Transfer - Metapher"



> engl. documentation of the QUADRATUREN- series

> PHONOREALISM, texts and notes / aus verschiedenen Texten"

> Phonografien, aus: "Metaphern"




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