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Peter Ablinger:
WEISS

english translation

"Weiß" ist für mich vielleicht das Verführerischste aller Worte, ihm habe ich die meisten Stücke gewidmet, nicht nur die, die das Weiße im Namen führen. Und daß es dann auch noch ein weißes Rauschen gibt, und daß dieses, wenn man den Farbausdruck beiseite läßt, ausnahmsweise einmal nicht schon wieder die Metapher aus irgendeinem anderen Sinnesfeld (meistens der Optik) ist, sondern ein originär akustischer Ausdruck, daß ich also mit dem Rauschen etwas habe, bei dem am Anfang nicht die Übertragung steht, ist selbst schon eine kleine Sensation im Verhältnis von Musik und Reden über Musik. Es ist im Gegenteil so, daß Rauschen über die Informationstheorie als Metapher in die Alltagssprache eingesunken ist, und alles Redundante, Kontingente, Nicht- oder Schwerkommunizierbare bezeichnet.

"Weiß" heißt das Rauschen dann, wenn in ihm alle Frequenzen gleich stark vertreten sind, und insofern ist die Kongruenz mit dem Licht tatsächlich vorhanden. Aber nur solange ich bereit bin, mir dieses Rauschen, dieses Alles, LAUT vorzustellen, denn andernfalls verschwindet die Vergleichbarkeit auch schon wieder. Über Lautstärke (Energie) ist nämlich in der Definition "alle Frequenzen gleich stark" nichts ausgesagt, und daher ist weißes Rauschen immer noch weißes Rauschen, selbst wenn es sehr leise ist: mathematisch korrekterweise auch dann noch, wenn es unendlich leise ist, also bei Abwesenheit jeglicher Energie, was aber auf der Ebene des Lichts dem Schwarz entspräche!

Aber ob schwarz oder weiß, seine Dichte, seine Konturlosigkeit und seine Farbnamen (man spricht ja auch noch von rosa Rauschen und braunem Rauschen) lassen es als unvermeidlich erscheinen, daß Rauschen mit Fläche in Zusammenhang gebracht wird. Die Übertragung läßt also nicht lange auf sich warten, und zwar in Form einer Rückübertragung.

Rückübertragung:

Die erste Version von Weiss/weisslich 7 (1994) beläßt das Rauschen ja noch genau so ungestaltet, unbearbeitet und unbegrenzt, wie das gewissermaßen seiner Natur entspricht. Aber zugleich skizzierte ich auch das Stück "Quadrat" für 1 Lautsprecher, bestehend aus genau vier Minuten weißen Rauschens. Natürlich sollte das die bessere Übersetzung des weißen Quadrates sein. Besser, weil (lautes) Rauschen durch seine Absorptionsfähigkeiten und das Maskieren leiser Nebengeräusche (Magengrummeln!) gewissermaßen noch stiller (weil informationsloser) ist als die Stille und weil es im Gegensatz zu Cages 4'33" nicht auf die Zwischenübersetzung von Rauschenberg, sondern sozusagen auf den Urtext von Malewitsch zurückgreift. Aber so spekulativ diese Überlegung bereits ist, die eigentliche Frage lautet: Wie lange muß Rauschen sein damit es ein Quadrat wird? Oder etwas technischer: gibt es eine zwingende Relation zwischen Bandbreite (Spektrum) und Dauer? Gibt es ein zwingendes Maß für Dauer? Was ist ein Quadrat in der Musik? Eigentlich möchte man ja weiterspekulieren, daß, wenn das Spektrum weiß und also unendlich ist, auch die Dauer unendlich sein müßte. Aber ich hab noch nie jemand gefunden der das bestätigt hätte und der im Gegenteil nicht geneigt wäre, die lange Dauer eines Rauschklanges etwa als langgezogenes Querrechteck zu empfinden. Ich hatte immer vor, dem weiter nachzugehen: Ich wollte verschiedenen Freunden und Kollegen Rauschen vorspielen, um sie danach zu fragen, wie lange es erklingen müsse, damit sie es als Quadrat empfinden könnten. Die einzelnen Stücke der daraus resultierenden Serie würden dann heißen: Quadrat für Klaus Lang, Quadrat für Maria de Alvear, Quadrat für Daniel Rothman, Quadrat für Jürg Frey, Quadrat für Alvin Lucier, Quadrat für Makiko Nishikaze.

Von Gösta Neuwirth weiß ich (und der weiß es wiederum von Heimito von Doderer), daß sich Probleme niemals auf der Ebene lösen lassen, auf der man sie antrifft. Ein paar Monate später löste sich das Problem, indem ich feststellte, daß gar kein Problem da war. Als ich nämlich Ende 1994 begann, meine Vorstellungen von klanglicher Dichte auf Instrumente zu übertragen, als die Dichte und Klangqualität des Moments gewissermaßen die Stelle von Verläufen und Strukturveränderungen einnahm, als anstelle der Zeit die Farbe die gestaltende Aufmerksamkeit beherrschte, offenbarte die grundsätzliche Aufwertung des Spektrums gegenüber der Zeit ihre mögliche Gleichsetzung (IEAOV: Instrumente und ElektroAkustisch Ortsbezogene Verdichtung, seit 1995).
Hier scheint plötzlich nur mehr eine hauchdünne Unterscheidung zwischen Malerei und Musik zu liegen. Und tatsächlich, als es darum ging, eine methodische Umsetzung für meine Vorstellungen zu finden, wurde ich zuerst auf visuellem Terrain fündig: Ich begann Fotos mit Langzeitbelichtung und bewegter Kamera zu machen, in denen die konkreten Gegenstände zugunsten ihrer puren Farbwerte verschwanden, und jeder Punkt eines Objektes tendenziell überall im Bild auftauchen konnte. Ich betrachte die seither auf diese Weise entstehenden Fotoserien als Musik, - man könnte sagen in der Tradition von Dieter Schnebels visible music, oder besser derjenigen von Roman Haubenstock-Ramatis Grafiken, welche nicht zur Aufführung vorgesehen sind, sondern sich sozusagen selbst genügen.

(hier die Notizbucheintragung, die das Vorhaben in einen Plan faßte:)
Skizze zu:
IEAOV,
Homage to the Square,
1995-99

Hommage ans Quadrat.

Das Quadrat ließ - und läßt - mich nicht aus dem Griff. Eins der IEAOV-Stücke, dessen abschließende Fertigstellung mir trotz mehrerer Aufführungen noch immer nicht gelungen ist, heißt IEAOV: "HOMAGE TO THE SQUARE" nach der gleichnahmigen über 1000-teiligen Bilder-Serie des Bauhaus-Malers Josef Albers. 12 davon habe ich im Berliner Kupferstichkabinett immer wieder eingehend betrachtet.

Die Irritationen des Auges beim Betrachten der Albers-Bilder weist auf die Ambivalenz von Bild und Nicht-Bild; auf die komplexe Beziehung von Bild und Beobachter, von real vorhandenem Objekt und seiner subjektiv oder kulturell kodierten Wahrnehmung. In der byzantinischen Epoche, im Zisterzienser-Orden, in muslimischen Kulturen wurde diese Ambivalenz als Bilderstreit und als Bilderverbot ausgetragen. In der abstrakten Kunst des 20. Jahrhunderts, insbesondere in der monochromen und Farbflächenmalerei erneuert sich die Thematik in der Differenz von dem, was physikalisch wirklich da ist, der Leinwand, der Farbauftrag, der Museumsbesucher aus Fleisch und Blut, und dem was als Nicht-Reales, Nicht-Meßbares zwischen diesen beiden - Bild und Betrachter - passiert. Während der Komposition von "Verkündigung" dachte ich an Jackson Pollock, und noch nicht an Barnett Newman oder Yves Klein. Die darin angewendeten instrumentalen Strukturen und Spieltechniken brachte ich mit Pollocks "Dripping" in Verbindung: man konnte die generelle Geste oder Bewegungsrichtung präzise kontrollieren, keinesfalls aber wie sie sich im Detail äußern würde. Tatsächlich saß ich während der Arbeit an "Verkündigung" vor einer fleckigen, ehemals weißen Wand, und ich beobachtete mein Beobachten der Wand indem ich die Flecken immer wieder in unterschiedliche Konstellationen zueinander brachte und als Figuren und Gestalten interpretierte. Wenn wir vor einem Wasserfall stehen, passiert etwas ähnliches: wenn wir nicht ohnehin in unseren Gedanken bleiben, sondern wirklich hinhören, fangen wir an, im Rauschen des Wasserfalls Melodien zu hören. Unser Gehirn scheint ganz und gar unfähig, nichts zu hören oder wahrzunehmen. Angesichts von nichts (oder auch nur zu wenig Information), erzeugt es immer etwas. Und letztlich ist es genau diese Art der "Übertragung", welche unser Leben (unsere Kunst) viel mehr bestimmt als alles andere. Alle Metaphern (Übertragungen) sind selbst wieder Metaphern für die Interpretationstätigkeit des Geistes, für das permanente Erzeugen einer uns operationsfähig haltenden Wirklichkeit. Der Name der Werkreihe "Weiss/weisslich" bezeichnet also nicht nur die feine Differenz von Weiß zu einem anderen Weiß, er meint auch vor allem diejenige, von Weiß zur Wahrnehmung des Weiß. Bei jenem Stück, das der Reihe den Titel gab, dem späteren "Weiss/weisslich 3", war der Sachverhalt der Übertragung ein höchst unmittelbarer, vielleicht der direkteste und einfachste meiner gesamten Arbeit: Wieder einmal stand ich vor einem Bild und dachte dabei an Musik. Diesmal 1990, im Walter-Gropius-Bau Berlin, es war eine dieser riesigen Ausstellungen damals, ich hab das Thema vergessen, aber ich erinnere mich, die Ausstellung gerade erst begonnen zu haben und zwar mit dem letzten Raum des Rundgangs. Und da stand ich vor einem Bild das nur aus vertikalen, hellgrauen Streifen bestand, nichts als zwei unterschiedliche Grautöne, die sich völlig regelmäßig abwechselten. Ich betrachtete das Bild weniger, als daß es mich betrachtete, wie ich eine Weile in Gedanken versunken davor stand, dann aber rasch den Ausstellungsbesuch abbrach und nach Hause ging um ein Stück zu skizzieren, das aus nichts anderem bestand als aus dem mehrmaligen, regelmäßigen Wechsel von 40 Sekunden Stille und 40" Fast-Stille. Es dauerte danach noch viele Jahre bis ich schließlich herausfand, daß das Bild von Agnes Martin war.

Einen entscheidenden Anteil an der Entwicklung jener Konzepte, die mit "Rauschen", mit "Weiß", mit "Verdichtung", mit "Fläche" zu tun haben, trägt das Licht; die Beobachtung des natürlichen Lichts, und das Studium der Lichtkünste vergangener Jahrhunderte. Hier eine Notiz von 1991, nach einem Besuch der Kathedrale von Brno: Wie in anderen verwandten Aufzeichnungen, handelt es sich dabei nicht um die Analyse einer anderen Kunstsparte, sondern was hier in visuellen Ausdrücken verhandelt wird, ist tatsächlich bereits ein folgenreich komplexes, musikalisches Konzept ("Grisailles" 1991-93, "Der Regen, das Glas, das Lachen" 1994). Bei einem späteren Besuch in Brno stellte ich übrigens fest, daß der Chor der Kathedrale gar keine farbig verglasten Fenster hatte...

Von den vielen Eindrücken oder Einflüssen die auf das Konzept der Fläche wirkten, möchte ich hier nur mehr jene erwähnen, die nicht mit Kunst und Kultur zu tun haben, und doch zu den für mich ursprünglichsten und unmittelbarsten, wenn auch vielleicht weniger diskursiven gehören: der Wind in verschiedenen Gräsern und Bäumen, das Geräusch des Regens, das Tröpfeln des beginnenden Regens, die Farbe des Himmels ("Weiss/weisslich 18" 1992,96, "Regenstück" 1993, u.a.). Ich erinnere mich, angesichts eines abendlichen Himmels, dessen Farben von blau über grün zu orange und purpur changierten, einmal ausgerufen zu haben, daß genau das mein musikalisches Ziel sei; und inzwischen glaube, daß ich, wenn ich dieses Ziel nicht gar schon erreicht haben sollte, ihm doch so nahe gekommen bin wie wohl kaum jemand. Feldman dachte zwar auch schon, daß das was er macht etwas mit der Fläche zu tun habe. Im Vergleich zu Stockhausen vielleicht. Aber im Vergleich mit den IEAOV- oder gar einigen Rauschen-Stücken handelt es sich bei Feldman noch immer um Grafik. Vielleicht kann man sagen, er setzt seine Klänge in die Fläche, in dem Sinn, daß die Klänge auf einer einzigen Ebene und nicht in unterschiedlichen Raumtiefen liegen. Die IEAOV-Flächen haben noch Raumtiefe, die Rauschenstücke, sobald nicht mehr bestimmte charakteristische Formanten im Vordergrund stehen, entbehren ihrer aber gänzlich. Raum ist in ihnen aufgehoben, enthalten, aber nicht mehr abgebildet oder nachempfunden. Der Regen und andere nicht-musikhistorische Ereignisse wie das Rauschen des Wasserfalls, aber auch nicht-klingende Künste wie die Malerei haben in mir das Bedürfnis vollkommener Strukturlosigkeit und Flächigkeit, die nur mehr mit dem Licht assoziierbar wäre, geweckt. Mit der Oberfläche der Malerei hat es also nicht wirklich zu tun, wie Feldman meinte. Feldmans Flächigkeit ist die des Gewebes. Sie ist niemals eine Fläche im Sinne einer monochromen Tafel.

Strukturlosigkeit, Redundanz, Kontingenz, und Grenzfälle dessen, was überhaupt noch als Kunst kommunizierbar erscheint, - all das kann im äußeren Erscheinungsbild manchmal "reduktionistisch" oder "minimalistisch" daherkommen. Manchmal aber auch anders (maximalistisch?). So etwas wie "Stil" ist mir viel zu äußerlich. Ein Kleid das man an- und wieder auszieht eben. Jedenfalls gibt es wahrhaft kein minimalistisches Dogma in meiner Arbeit. In der Kunst ist die oberste der minimalistischen Regeln nämlich die, daß ein Ding (ein Klang, etc.) nur es selbst und nichts anderes als es selbst sein darf. Ich weiß auch nicht, vielleicht sind es die Voralpen, die "keltischen" Gene in mir, daß mir dieser Gedanke höchstens ein mitleidiges Lächeln entlockt.


hier der ganze Text:

METAPHERN 1983-2004, erschienen in: "Sabine Sanio, Christian Scheib (Hrsg.): "Übertragung - Transfer - Metapher", Kerber-Verlag, 2004


Siehe auch die Dokumenationen zu:

Weiss/Weisslich 12, Kirchen der Mark Brandenburg

Weiss/weisslich 15, 5 Räume, gefärbte Stille

Weiss/Weisslich 18, Baumrauschen

Weiss/Weisslich 24, Kirchen von St.Lambrecht

Weiss/Weisslich 26, Skizzen für ein Arboretum

Weiss/Weisslich 30, Schilf in Töpfen, Wind

Rauschen / White Noise


Texte und Überlegungen von (mit) Peter Ablinger zum Thema Rauschen:

RAUSCHEN/HYPOTHESEN, 1991-95

DER WASSERFALL, 1/1993, ein Gespräch mit Karl-Heinz Dicht

RAUSCHEN/STICHWORTE, (1990,)1995

WEISS/WEISSLICH 18, 11/1999

SCHNEE (2), 12/1999


Schwarz / Black:

Black Series

Schwarzes Rauschen/ Black Noise

"Weiss ist schön"

Schwarze Liste / Black List




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impressum \ this page was created by Aljoscha Hofmann \  last edited 18.08.2002 CET